Die Jahreszeiten

Oratorium

Haydn5

Werkdaten

Originaltitel

DIE JAHRESZEITEN

Ordnung

Hob. XXI:3; Reihe XXVIII/3

Typus

Oratorium

Anzahl der Teile

4

Anlass der Komposition

Den Ausschlag für das Oratorium Die Jahreszeiten, das sowohl Joseph Haydn als auch Gottfried van Swieten niemals als Oratorium bezeichnen werden, gab wohl der überwältigende Erfolg der Schöpfung am 30. April 1798. Wiederum trat die Gesellschaft der Associierten Cavaliere unter der Initiative von Gottfried van Swieten gleichsam als Produzenten auf den Plan.

Entstehungsgeschichte

Schon in einem Artikel der Leipziger Allgemeinen musikalischen Zeitung 1799 über die erste große und öffentliche Aufführung der Schöpfung am 19. März 1799 im Wiener Burgtheater werden Die Jahreszeiten erstmals erwähnt: „Nun bearbeitet Haydn ein neues grosses Werk, welches der würdige Herr Geheimerath Freyherr van Swieten nach Thomsons Jahrszeiten metrisch bearbeitet, und wovon er bereits die erste Abtheilung, den Frühling, fertig hat« (AmZ 1 [1799], Sp. 446). Der „Frühling“ wurde zu dieser Zeit sogar in privatem Kreis aufgeführt. Georg August Griesinger, hier als Verbindungsmann zwischen dem Leipziger Verlag Breitkopf & Härtel sowie Joseph Haydn tätig, berichtet ziemlich ausführlich über den Fortschritt der Komposition: Am 5 Februar 1800 (Otto Biba; „Eben komme ich von Haydn …“; Georg August Griesingers Korrespondenz mit Joseph Haydns Verleger Breitkopf & Härtel 1799-1819, Zürich 1987, S. 41) waren die Arbeiten schon ziemlich fortgeschritten. Am 11. Mai 1800 schrieb Haydn dann an einen Freund (unter Umständen an den Berliner Musikverleger Johann Julius Hummel): „… mit den 4 Jahreszeiten hat es seine Richtigkeit; ich bearbeite eben den Sommer, und hoffe, ungeachtet ich vor kurzem sehr schwer kranck war, bis Ende künftigen Winters damit fertig zu seyn;“ Laut Georg August Griesinger wollte Haydn im November 1800 den 3. Teil, den Herbst abschließen und bis zum März des Jahres 1801 mit dem 4. Teil, dem Winter das Werk abschließen (Biba, S.65ff.). Über die Fertigstellung der Komposition Die Jahreszeiten berichtete sogar die Allgemeinen musikalischen Zeitung (3/29 [15.4.1801], Sp. 498).
Produziert wurde die Uraufführung wieder von der Gesellschaft der Asocciierten Cavaliere wobei jeder der 24 Mitglieder 195 Gulden beisteuerte und der Hausherr Fürst Schwarzenberg gar noch die Wache, das Entfernen der Marktstände vor dem Palais und die Beleuchtung übernahm. Erwähnenswert ist mit Sicherheit eine Aufführung am kaiserlichen Hof am 24. Mai 1801, die Haydn selbst dirigierte und wo die Kaiserin Maria Theresia die Sopranpartie sang. Haydn würdigte das Engagement ziemlich diplomatisch, in dem er Ihr „viel Geschmak und Ausdruk, aber ein schwaches Organ“ attestierte (Biba, S. 76).

Kompositionsjahr

1798/1799-1801

Uraufführung

24. April 1801 (vor geladenen Gästen der Associierten Cavaliere (Gottfried van Swieten))

Ort der Uraufführung

Palais Schwarzenberg Wien

Weitere Aufführungen

24. April 1801 vor geladenen Gästen der Associierten Cavaliere im Palais Schwarzenberg Wien
1. Mai 1801 vor geladenen Gästen der Associierten Cavaliere im Palais Schwarzenberg Wien
24. Mai 1801 Aufführung am kaiserlichen Hof
29. Mai 1801 erste öffentliche Aufführung „zu Haydns Vortheil“ (Biba, S. 76) im Wiener Redoutensaal
22. und 23. Dezember 1801 Aufführung im Burgtheater im Rahmen eines Konzertes der Wiener Tonkünstler-Societät mit mehr als 200 Mitwirkenden.

Rezeptionsgeschichte

Rezeptionsgeschichtlich interessant dürfte die Einschätzung Haydns bezüglich der Stellenwerte seiner beiden letzten Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten sein, wenngleich man natürlich folgende Aussagen absolut differenziert betrachten muss:
Nach Albert Christoph Dies soll Haydn selbst die Schöpfung gegenüber den Jahreszeiten präferiert haben und zwar aufgrund des (biblischen) Textes. So soll er Franz II. geantwortet haben, als dieser nach Haydns Präferenz gefragt hatte: „In der Schöpfung reden Engel und erzählen von Gott; aber in den Jahreszeiten spricht nur der Simon“ (Albert Christoph Dies; Biographische Nachrichten von Joseph Haydn; Wien 1810, S. 182). Giuseppe Carpani übertreibt dies sogar: „in quella i personaggi erano Angioli; nelle Quattro stagione sono contadini“ [… in dem einen Werk sind die Personen Engel, im anderen die Bauern] (Giuseppe Carpani; Le Haydine ovvero lettere su la vita e le opere del celebre maestro Giuseppe Haydn, Padua 1823, S. 218):). 
Wie schon vorweggenommen muss man diese Schilderungen differenziert betrachten, da selbige eher die sich abzeichnende Rezeption widerspiegeln als Haydns tatsächliche Meinung über seine Werke. Am 28. April 1801, also direkt nach der Uraufführung, schrieb Haydn an Muzio Clementi in London: „…indessen mache ich Ihnen zu wissen, daß die Music meiner Vier Jahreszeiten mit eben dem ungetheilten Beyfall als die Schöpfung ist aufgenohmen worden, ja Manche wollen sie der Abwechslung wegen der Schöpfung noch vorziehen, …“. Dieser Brief spricht dann doch eine deutliche Sprache.

Partitur

DIE JAHRESZEITEN
Herausgeber: Armin Raab; Reihe XXVIII, Band 4, 2 Teilbände, 2009; G. Henle Verlag München

Status der Partitur

Vollständig

Informationen zur Partitur

Die vorliegenden Informationen über die Partitur beziehen sich auf die vom Joseph Haydn-Institut herausgegebenen Gesamtausgabe (Joseph Haydn Werke, Reihe XXVIII, Bd. 4, 2 Teilbände, Die Jahreszeiten, hrsg. von Armin Raab, München: G. Henle Verlag 2007).
Als Hauptquelle diente abschriftlichen Aufführungsmaterial mit vielen eigenhändigen Korrekturen Haydns. Denn weitere von Haydn autorisierte bzw. revidierte Abschriften sind nicht erhalten. Weitere wichtige Quellen sind die Partituren des Chordirigenten und des Generalbassspielers als Teil dieses abschriftlichen Aufführungsmaterials. Das Aufführungsmaterial beweist zahlreiche Revisionen, die Haydn teilweise erst während der Proben vornahm. 
Das Autograph im Übrigen, das in den Besitz van Swietens kam, war schon zu Haydns Lebzeiten verschollen. Als ergänzendes Quellen wird die Originalausgabe herangezogen, die 1802 bei Breitkopf & Härtel in Leipzig erschien. Die Stichvorlage hierfür kam von Joseph Haydn. 

Zur Aufführungspraxis:
Interessant sind die Aufführung vom 22. und 23. Dezember 1801 im Wiener Redoutensaal hinsichtlich aufführungspraktischer Details: Der vor dem Orchester aufgestellte Chor umfasste lediglich 60 Sänger; hingegen waren die Bläser im Orchester teilweise zwei, drei- und gar vierfach besetzt. Etwa Holzbläserpaare und die Trompeten dreifach, die Hörner vierfach und selbst die Posaunen wurden von Haydn noch doppelt besetzt. Das lässt sich aus dem von Haydn verwendeten abschriftlichen Aufführungsmaterial erschließen, das zum größten Teil erhalten ist. Aus diesem Material geht auch hervor, dass Haydn das Ensemble in zwei Schritten vergrößerte (wohl erst für die Aufführung im Redoutensaal, dann im Hofburgtheater), indem er die Dubletten für die Bläserstimmen ausschreiben ließ. Die Streicherbesetzung scheint mit 20 1. Violinen, 20 2. Violinen, 12 Bratschen, 12 Violoncelli und 12 Kontrabässen ausgestattet worden zu sein. Bei etwaig großbesetzten Produktionen sollte daher berücksichtigt werden, dass in den Mehrfach-Bläserbesetzungen an piano-Stellen die zweiten und dritten Stimmen pausieren sollten; allein im Stimmenmaterial gibt es diesbezüglich keine Anweisungen.
In den Nummer 2, 7, 12, 19b und 20b ließ Haydn nachträglich Oboen verdoppelnde Klarinettenstimmen ausfertigen. Dabei handelt es sich offenbar um eine ad libitum Verstärkung für groß besetzte Produktionen; in die Originalausgabe sind diese Verdopplungen nicht aufgenommen. Ebenso verhält es sich mit der in Nr. 15b in den Aufführungsstimmen nachgetragenen zusätzlichen Hornstimme.
Im Falle des Triangels und des Tamburin (Nr. 16b) ist im Aufführungsmaterial und der Originalausgabe lediglich der Einsatz angeführt, wahrscheinlich wurden die Partien improvisiert. Tamburin (in den Quellen Damborine) könnte die Bezeichnung für eine kleine Handtrommel oder aber (wie heute üblich) für eine Schellentrommel sein. Die Generalbassgruppe bestand bei Haydns Aufführungen aus einem Cembalo, das explizit als solches bezeichnet wird, einem Violoncello und einem Kontrabass. Auch hier gilt es zu erwähnen, dass die teilweise gängige Praxis, das Tasteninstrument, also das Cembalo in den Arien, den Chorsätzen oder gar den Einleitungen mitwirken zu lassen, entgegen Haydns Intention ist. Diese Frage taucht ebenso bei den Opern auf. Auch in den Quellen für Die Jahreszeiten gibt es dafür keinerlei Hinweise. Da und dort treten an harmonisch komplexen Stellen Bezifferung auf. Diese sind aber als Hilfe zu verstehen, da der Cembalist in Haydns Aufführungen auch den Chor leitete. Allerdings gibt die Angabe zur Verwendung des Pedaltons C in der Kontrabassstimme zu Beginn des Gewitterchors im Sommer Rätsel auf. Ob dies etwa bedeutet, dass bei einer der Aufführungen eine Orgel mitspielte, oder ob Haydn die Anweisung lediglich im Hinblick auf eine solche Möglichkeit (oder die Mitwirkung eines Pedalcembalos) notierte, bleibt unklar. 
Erwähnenswert ist auch der erstmalige und einmalig bleibende Einsatz einer Piccolo-Flöte von Joseph Haydn in einem seiner Werke: In der Aria 3b Schon eilet froh der Akkermann hat er damit das Pfeifen der Menschen simuliert.

Personen

Kapitelbänder Jahreszeiten
Oratorienrollen
Simon ein Pächter Bass
Hanne seine Tochter Sopran
Lukas ein junger Bauer Tenor
Landvolk und Jäger    
Besetzung / Interlocutori
Orchestrierung

S, T, B – Chor – 2(Picc)|2|2|2|1Kfa  – 4|3|3  – 1 – Triangel, Tambourin – Str. – Bc

Besetzung Orchester

Dezember 1801:  S, T, B – Chor – 6|6|6|6|1Kfa  – 16|6|6 – 1 – 2  – 20/20/12/12/12

Textbuch

Kapitelbänder Jahreszeiten2

Textbuch

Textbuch

Das Libretto der Jahreszeiten basiert auf dem Versepos The seasons von James Thomson (1700-1748). Van Swieten übernahm von Thomson einzelne Motive und Szenen.

Bearbeitung des Textes

Van Swieten übernahm von Thomson Motive und Szenen. So z.B. das Gewitter im Sommer, die Jagd im Herbst und das Umherirren des Wanderers im Schneesturm. 
Neben Thomson benutzte van Swieten aber auch andere Textquellen:
Ein Gedicht etwa von Gottfried August Bürger (für das Spinnerlied „Knurre, schnurre, knurre“) oder ein Gedicht aus dem Jahre 1768 von Christian Felix Weiße nach der französischen Opera comique Annette et Lubin von 1762 (für „Ein Mädchen, das auf Ehre hielt“).
Haydn hingegen war mit dem Text nicht immer glücklich. So schreibt etwa Griesinger 1810 in den Biographischen Notizen: „Haydn beklagte sich oft bitterlich über den unpoetischen Text der Jahreszeiten, und wie schwer es ihm werde, sich durch das „Heysasa, Hopsasa, es lebe der Wein! es lebe das Faß, das ihn verwahrt! es lebe der Krug, woraus er fließt!“ u. d. m. in Begeisterung zu versetzen. Als er an die Stelle kam: „O Fleiß, o edler Fleiß, von dir kommt alles Heil!“ bemerkte er, daß er sein ganzes Leben hindurch ein fleißiger Mann gewesen, aber daß es ihm nie eingefallen sey, den Fleiß in Noten zu bringen“ (Georg August Griesinger; Biographische Notizen über Joseph Haydn; Leipzig 1810; S. 70).

Werkteile

Kapitelbänder Jahreszeiten3

Werkteile

DER FRÜHLING      
    1. Die Einleitung malt den Übergang vom Winter zum Frühling - Ouverture
      Recitativo Simon, Lukas, Hanne Seht, wie der strenge Winter flieht!
    2. Chor des Landvolks Komm, holder Lenz!
    3a. Recitativo Simon Vom Widder strahlet jetzt
    3b. Aria Simon Schon eilet froh der Ackermann
    4a. Recitativo Lukas Der Landmann hat sein Werk vollbracht
    4b. Chor Lukas, Simon, Hanne, Chor Sei nun gnädig, milder Himmel!
    5a. Recitativo Hanne Erhört ist unser Fleh 'n
    5b. Freudenlied, mit abwechselndem Chore der Jugend Hanne, Lukas, Chor, Simon O, wie lieblich ist der Anblick
DER SOMMER      
    6a. Die Einleitung stellt die Morgendämmerung vor
      Recitativo Lukas, Simon In grauem Schleier rückt heran
    6b. Aria Simon Der munt're Hirt versammelt nun
      Recitativo Hanne Die Morgenröte bricht hervor
    7. Chor Hanne, Lukas, Simon, Chor Sie steigt herauf
    8a. Recitativo Simon Nun regt und bewegt sich alles umher
    8b. Recitativo Lukas Die Mittagssonne brennet jetzt
    8c. Cavatina Lukas Dem Druck' erlieget die Natur
    9a. Recitativo Hanne Willkommen jetzt, o dunkler Hain
    9b. Aria Hanne Welche Labung für die Sinne!
    10a. Recitativo Simon, Lukas, Hanne O seht! Es steiget in der schwülen Luft
    10b. Chor Das Ungewitter Chor, Lukas, Hanne, Simon Ach! das Ungewitter nah't
DER HERBST      
    11. Der Einleitung Gegenstand ist des Landmanns freudiges Gefühl über die reiche Ernte
      Recitativo Hanne, Lukas, Simon Was durch seine Blüte der Lenz zuerst versprach
    12. Terzetto [mit Chor] So lohnet die Natur den Fleiß
    13a. Recitativo Hanne, Simon, Lukas Seht, wie zum Haselbusche dort
    13b. Duetto Lukas, Hanne Ihr Schönen aus der Stadt
    14a. Recitativo Simon Nun zeiget das entblößte Feld
    14b. Aria Simon Seht auf die breiten Wiesen hin!
    15a. Recitativo Lukas Hier treibt ein dichter Kreis
    15b. Chor Landvolk und Jäger Hört, hört das laute Getön
    16a. Recitativo Hanne, Simon, Lukas Am Rebenstocke blinket jetzt
    16b. Chor Juchhe! Juchhe! der Wein ist da
DER WINTER      
    17. Die Einleitung schildert die dicken Nebel, womit der Winter anfängt
      Recitativo Simon, Hanne Nun senket sich das blasse Jahr
      Cavatina Hanne Licht und Leben sind geschwächet
    18a. Recitativo Lukas Gefesselt steht der breite See
    18b. Aria Lukas Hier steht der Wand'rer nun
    19a. Recitativo Lukas, Hanne, Simon So wie er nah 't, schallt in sein Ohr
    19b. Chor Chor, Hanne Knurre, schnurre, knurre!
    20a. Recitativo Lukas Abgesponnen ist der Flachs
    20b. Chor Hanne, Chor Ein Mädchen, das auf Ehre hielt
    21a. Recitativo Simon Vom dürren Oste dringt
    21b. Aria Simon Erblicke hier, betörter Mensch
    22. Chor Simon, Lukas, Chor, Hanne Dann bricht der große Morgen an

Inhalt

Kapitelbänder Jahreszeiten4

Inhalt

Jeder der vier Teile wird von einem Instrumentalsatz mit einer programmatischen Überschrift eröffnet: „Die Einleitung stellt den Übergang vom Winter zum Frühling vor“, „Die Einleitung stellt die Morgendämmerung vor“, „Die Einleitung schildert die Freude des Landmanns über die reiche Ernte“ und schließlich „Die Einleitung malt die dicken Nebel, womit der Winter anfängt“. Zusammen mit der „Vorstellung des Chaos“ zu Beginn der Schöpfung gehören sie zur spannendsten Instrumentalmusik, die der späte Haydn schrieb. Interessanterweise hat er gerade diese Sätze einer Umarbeitung unterzogen. (Die ursprünglichen Fassungen sind im Wiener Aufführungsmaterial dokumentiert.) So war die Einleitung zum Sommer ursprünglich in dunkleren Farben, nur mit den tiefen Streichern, instrumentiert, die Einleitungen zu Herbst und Winter wurden gekürzt.

1. Teil: Der Frühling
Am Anfang des Frühlings steht die Schilderung der Winterstürme - ein Sonatensatz (mit langsamer Einleitung), in der Reprise abgebrochen durch ein Rezitativ, in dem die drei Protagonisten den Frühling ankündigen, ehe dann der Chor als vierter Partner das Siciliano „Komm, holder Lenz“ anstimmt. Anders als es die von Carpani wiedergegebene Anekdote nahelegt, singen hier keineswegs die Bauern. Zwar erhalten die Solostimmen nicht nur Namen, sondern sogar Rollenbezeichnungen: „Simon, ein Pächter“, „Hanne, seine Tochter“ und „Lukas, ein junger Bauer“. Doch sind sie, wie ihre Zuhörer, nicht Handelnde, sondern Betrachtende, die als Kommentatoren den Blick lenken: „Seht, wie der strenge Winter flieht“, heißt es im ersten Accompagnato, „Seht die Lilie, seht die Rose, seht die Blumen all“ im ersten Terzett. In Sommer, Herbst und Winter bleibt dieses „Seht!“ ebenso gegenwärtig. Auch den fröhlich hinter dem Pflug einher schreitenden Ackersmann erlebt man (in der dem Eingangschor folgenden ersten Arie) nicht als Sänger - aber man hört ihn immerhin pfeifen, und um dies sinnfällig zu machen, setzt Haydn (zum einzigen Mal in seinem ganzen Schaffen) eine Piccolo-Flöte ein - einer der Instrumentationseffekte, an denen die Jahreszeiten reich sind. Nach Dies verlangte van Swieten, der Sämann solle eine Melodie aus einem beliebten Singspiel auf den Lippen haben. Doch Haydn wählte ein eigenes Thema, den langsamen Satz der Sinfonie Hob. I:94 (mit dem „Paukenschlag“). Setzte sich Haydn hier (falls die Anekdote stimmt) selbstbewusst über die Forderung seines Librettisten hinweg, folgte er ihm an anderen Stellen fast sklavisch getreu. Van Swieten versah seine eigenhändige Niederschrift des Textbuches mit vielen Randglossen, in denen er detailliert seine musikalischen Vorstellungen erläuterte. Zur letzten Nummer des Frühlings, dem „Freudenlied mit abwechselndem Chore der Jugend“ notierte er: „Bey dem Ewiger etc. meine ich, dass ein von der Tonart des vorhergehenden Freudenlieds auffallend verschiedener Ton gute Wirkung hervor bringen und das Feierlich-Andächtige des Aufrufs ungemein erheben würde“. Tatsächlich hat Haydn die deutliche Zäsur beim Eintritt des Textes »Ewiger, mächtiger, gütiger Gott« mit einer überraschenden Rückung von D-Dur nach B-Dur hervorgehoben.

2. Teil: Der Sommer
Der Sommer besteht aus einer großen Antithese: Erst die lebensspendende Natur mit Sonnenaufgang und einem deistisch anmutenden Preis der Sonne, dann die bedrohliche Natur in einer Gewitterszene, die mit großem Spannungsbogen von den Bedrückungen der Hitze (mit Zuflucht im schattigen Hain) über die furchtsam gespannte Erwartung bis hin zur Rückkehr in die Idylle nach dem Sturm ausgebreitet wird. (Die Abfolge ist einerseits in Haydns The storm vorgebildet, andererseits selbst Vorbild für Ludwig Beethovens sieben Jahre später geschriebene Sechste Sinfonie.) Das melodisch gezackte Blitzmotiv, nach dem der Sturmchor „Ach, das Ungewitter naht!“ hereinbricht, verwendete Haydn schon im Sturm-Finale der „Le soir“ (Hob. I:8).
Van Swieten achtete darauf, dass sein Text durch detaillierte Bildlichkeit Haydn reichlich Gelegenheiten für jene Tonmalereien gab, mit denen er schon in der Schöpfung sein Publikum ganz unmittelbar eingenommen hatte. Da springen Lämmer und wimmeln Fische (im Frühling), lässt am Sommermorgen die Oboe einen Hahn krähen und in der Jagdarie im Herbst die Pauke eine Büchse knallen. Nach dem Sturm ruft die Wachtel, zirpt die Grille - und es quakt ein Frosch. Über letzteren kam es zu einer Entzweiung zwischen Komponist und Librettist. In einem Korrekturblatt, das er Müller nach Durchsicht von dessen Klavierauszug schickte, merkte Haydn an: „NB diese ganze Stelle als eine Imitation eines froschs ist nicht aus meiner feder geflossen, es wurde mir aufgedrungen diesen französischen Quark niederzuschreiben; mit dem ganzen Orchest verschwindet dieser elende Gedancke gar bald aber als clavier auszug kan derselbe nicht bestehen«. Griesinger (S. 72) nennt 1810 Andre-Ernest-Modeste Grétry als den Komponisten, an dem sich Haydn nach Wunsch van Swietens hätte orientieren sollen. Tatsächlich finden sich zwei Opern Grétrys in Haydns Nachlass. Das Froschquaken dürfte er aber aus einer anderen französischen Oper übernommen haben, nämlich Jean-Philippe Rameaus Platée (Feder 2007, S. 17). Bei Dies wird aus der Kritik ein genereller Einwand Haydns gegen die Tonmalerei (wohl fälschlicherweise, denn grundsätzliche ästhetische Bedenken dagegen sind bei Haydn kaum anzunehmen). Er sei „oft über die vielen mahlerischen Darstellungen, oder Nachäffungen verdrießlich“ gewesen und habe das Froschquaken im Orchestersatz verbergen wollen. „Swieten tadelte ihn deßwegen, brachte ein altes Stück von *** zum Vorschein, worin das Koax mit hervorstechendem Prunke gesetzt war, und suchte Haydn zu bereden, es nachzuahmen“ (Dies, S. 180).

3. Teil: Der Herbst
Der Herbst ist im Zyklus der Jahreszeiten die Ernte, das Schöpfen aus der Natur: Die Jäger ernten in der Fauna, die Winzer in der Flora. Selbst die Liebenden (die in ihrem großen Duett erstmals tatsächlich als Personen auftreten) werden belohnt: Zufriedenheit ist die Ernte ihrer städtischen Moden abgewandten Selbstbescheidung. Voraussetzung allen Gewinns ist der Fleiß, dem hier im ersten Chorsatz wie einer Gottheit gehuldigt wird - wie zuvor im Frühling dem Schöpfer und im Sommer der Sonne. Wer gearbeitet hat, darf feiern; und so endet die Weinlese mit einem wahren Gelage. Haydn selbst soll den Schlusschor, der schließlich mit Triangel und Tamburin einem fulminanten Abschluss entgegenrast, als „die besoffene Fuge“ bezeichnet haben (Dies, S. 182).

4. Teil: Der Winter
Wie im Sommer setzt van Swieten im Winter der Bedrohung durch die Natur die Idylle des ländlichen Lebens entgegen: Der im Schneetreiben verirrte Wanderer findet nicht - wie im Original bei Thomson - den Tod, sondern Zuflucht in der Spinnstube. Und wie im Herbst folgt getaner Arbeit - untermalt vom Spinnerlied, dessen Begleitfigur Franz Schubert später in seinem Gretchen am Spinnrad aufgriff (Pesic 2003) - das Vergnügen: Hanne singt ein fröhliches Lied. Der dramaturgischen Konzeption nach sind diese Einlagen ein auflockerndes Intermezzo vor der ernsten Schlusswendung, inhaltlich korrespondieren sie mit dem Duett der unschuldig Liebenden vom Lande aus dem Herbst. Vor dem großen Finalsatz (mit Teilung in ersten und zweiten Chor und symbolträchtiger Hinzuziehung einer dritten Trompetenstimme) wird in der letzten Arie noch einmal (ein Pendant zum mehrfachen „Seht“) lehrhaft der Blick gelenkt: „Erblicke hier betörter Mensch, erblicke Deines Lebens Bild!“ - mit einer Begleitfigur im lombardischen Rhythmus (kurz-lang), die an den langsamen Satz der Sinfonie in g-Moll KV 550 von Wolfgang Amadé Mozart erinnert. Nun offenbart sich der eigentliche Sinn des ganzen Oratoriums: Die - der emblematischen Tradition von „Natur als zweitem Buch Gottes“ folgende - Deutung des Jahreskreises als Sinnbild menschlichen Lebens. Haydn, der am Ende seiner Schaffenskraft stand und nach den Jahreszeiten mit „Schöpfungs-„ und „Harmoniemesse“ nur noch zwei größere Werke fertig stellen konnte, muss dies als ein ganz persönliches memento mori empfunden haben.
(Das Haydn-Lexikon; Herausgeber: Armin Raab, Christine Siegert und Wolfram Steinbeck; Artikel: Die Jahreszeiten; Verfasst von Armin Raab. S. 358ff.)

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Kapitelband Medien

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INTERPRETEN:
Academy of St. Martin in the Fields und Academy of St. Martin in the Fields Chorus mit Edith Mathis, Siegfried Jerusalem, Dietrich Fischer-Dieskau und unter der Leitung von Sir Neville Marriner.

1. Die Einleitung malt den Übergang vom Winter zum Frühling - Ouverture
1. Seht, wie der strenge Winter flieht!
2. Komm, holder Lenz!
3a. Vom Widder strahlet jetzt
3b. Schon eilet froh der Ackermann
4a. Der Landmann hat sein Werk vollbracht
4b. Sei nun gnädig, milder Himmel!
5a. Erhört ist unser Fleh 'n
5b. O, wie lieblich ist der Anblick
5b. O, wie lieblich ist der Anblick
6a. Die Einleitung stellt die Morgendämmerung vor
6a. In grauem Schleier rückt heran
6b. Der munt're Hirt versammelt nun
6b. Die Morgenröte bricht hervor
7. Sie steigt herauf
8a. Nun regt und bewegt sich alles umher
8b. Die Mittagssonne brennet jetzt
8c. Dem Druck' erlieget die Natur
9a. Willkommen jetzt, o dunkler Hain
9b. Welche Labung für die Sinne!
10a. O seht! Es steiget in der schwülen Luft
10b. Ach! das Ungewitter nah't
10b. Ach! das Ungewitter nah't
11. Der Einleitung Gegenstand ist des Landmanns freudiges Gefühl über die reiche Ernte
11. Was durch seine Blüte der Lenz zuerst versprach
12. So lohnet die Natur den Fleiß
13a. Seht, wie zum Haselbusche dort
13b. Ihr Schönen aus der Stadt
14a. Nun zeiget das entblößte Feld
14b. Seht auf die breiten Wiesen hin!
15a. Hier treibt ein dichter Kreis
15b. Hört, hört das laute Getön
16a. Am Rebenstocke blinket jetzt
16b. Juchhe! Juchhe! der Wein ist da
17. Die Einleitung schildert die dicken Nebel, womit der Winter anfängt
17. Nun senket sich das blasse Jahr
17. Licht und Leben sind geschwächet
18a. Gefesselt steht der breite See
18b. Hier steht der Wand'rer nun
19a. So wie er nah 't, schallt in sein Ohr
19b. Knurre, schnurre, knurre!
20a. Abgesponnen ist der Flachs
20b. Ein Mädchen, das auf Ehre hielt
21a. Vom dürren Oste dringt
21b. Erblicke hier, betörter Mensch
22. Dann bricht der große Morgen an

1757

1. Periode
Hob.I:1

1757/1758

1. Periode
Hob.I:37

1757-1759

1. Periode
Hob.I:18
Hob.I:2

1757-1760

1. Periode
Hob.I:4
Hob.I:27

1758-1760

1. Periode
Hob.I:10
Hob.I:20

1761/1762

1. Periode
Hob.I:36
Hob.I:33

1766

4. Periode

1771

4. Periode
Hob.I:52
Hob.I:42

1774/1775

5. Periode
Hob.I:68

1776

5. Periode
Hob.I:61

1777/1778

5. Periode
Hob.I:53 "L'Impériale"

1778/1779

5. Periode
Hob.I:71

1780

5. Periode
Hob.I:74
Hob.I:62

1781

5. Periode
Hob.I:73 "La chasse"

1787

8. Periode
Hob.I:89

-1788

8. Periode
Hob.I:88

1788

8. Periode
Hob.I:90
Hob.I:91

1789

8. Periode
Hob.I:92 "Oxford"

1793

10. Periode
Hob.I:99

1794

10. Periode
Hob.I:102

1796

1799

1801

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
I. Periode
Acide
 
I. Periode
 
I. Periode
 
I. Periode
La canterina
I. Periode
 
I. Periode
Lo speziale
 
I. Periode
 
I. Periode
Le pescatrici
 
I. Periode
 
I. Periode
 
II. Periode
 
II. Periode
 
II. Periode
 
II. Periode
Il mondo della luna
 
II. Periode
 
III. Periode
 
III. Periode
La fedeltà premiata
 
III. Periode
Orlando paladino
 
III. Periode
Armida
 
III. Periode
La vera costanza II