Werkdaten
DIE SIEBEN LETZTEN WORTE UNSERES ERLÖSERS AM KREUZE (Titel der Erstausgabe der Orchesterfassung: Musica instrumentale sopra le 7 ultime parole del nostro Redentore in croce, Hob. XX/1:A)
Hob. XX/1A; Reihe VI
Hob. XX/1B = Hob. III:50–56
Hob. XX/1C
Hob. XX/2; Reihe XXVIII/2
Passionsmusik für Orchester Hob. XX/1A; Reihe VI
Streichquartett Hob. XX/1B = Hob. III:50–56
Klavierauszug Hob. XX/1C
Oratorium Hob. XX/2; Reihe XXVIII/2
2
Joseph Haydns 1786 entstandene Passionsmusik (Hob. XX/1A), der instrumentalen Urfassung und gleichzeitig Quelle der 1796 arrangierten Oratorienfassung (Hob. XX/2) Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze ist das Auftragswerk für eine Karfreitagsandacht, die alljährlich in der südwestspanischen Bischofsstadt Cadiz abgehalten wurde.
Der andalusische Adlige Don José Saluz de Santamaria, Marquès de Valde-Inigo (1738-1804), hatte unter der Pfarrkirche Nuestra Señora del Rosario in Cádiz die Kirche Santa Cueva errichten lassen, eine unterirdische Grotte für Passionsandachten. Anthony van Hoboken fasste den Hintergrund wie folgt zusammen: „Die Sieben Worte wurden durch den Marquis de Valde-lnigo bestellt, einen berühmten Priester (Dr. Jose Saluz de Santamaria), dessen freigebige Spenden den Glanz der Kirche Santa Cueva verursachten, die in einer unterirdischen Höhle erbaut wurde unter der Pfarrei des Rosario 1756. Hier wurden Exerzitien abgehalten, die der Passion gewidmet waren, die sich nach der Madre Antigua nannten, um gläubigen Menschen zu dienen, die sich als Gemeinde dort zusammenfanden. Diese Exerzitien bestanden in Szenen der Passion und den ,Sieben letzten Worten des Herrn' und außer den Schätzen, die der oben erwähnte priesterliche Marquis der Höhle stiftete, hatte er auch den Wunsch, die Musik des berühmtesten Komponisten jener Zeit dort erklingen zu lassen. Zu diesem Zweck wandte er sich an seinen Freund: Don Francisco Micon, Marques Meritos, der seinerseits ein Freund von Haydn war, und dieser war es, soweit ich weiß, der persönlich den Auftrag übermittelte und dem Künstler einen einzigartigen Brief schrieb, in dem er die Worte erklärte und die Art und Weise, in der die Gebet-Exerzitien ablaufen." (Anthony van Hoboken, Band 1: I. Abteilung: Instrumentalwerke. Schott, Mainz 1957, Seite 845)
Jose Saenz de Santamaria verlangte demnach von Haydn kurze Instrumentalsätze, die als Andachtsmusik im Wechsel mit dem Vortrag der letzten sieben Worte Christi rezitiert werden sollten. Umrahmt wurden die sieben, jeweils als Sonata bezeichneten Sätze von einer lntroduzione und dem mit als Il Terremoto bezeichneten Presto-Finale.
Die Passionsmusik blieb aber nicht exklusiv dem Auftraggeber Jose Saenz de Santamaria vorbehalten. Bereits 1787 publizierte Joseph Haydn bei Artaria und Co. neben der Orchesterfassung (Hob. XX/1A ) auch eine von ihm angefertigte Bearbeitung für Streichquartett (Hob. XX/1B = Hob. III:50-56). Außerdem erschien beim selben Verleger eine Bearbeitung für Klavier (Hob. XX/1C), die Haydn zwar nicht anfertigte, aber über die er an Artaria am 23.06.1787 schrieb: „… unter anderen belobe ich den Clavierauszug, welcher sehr gut und mit besonderem Fleiß abgefaßt ist.“
Zur Erstellung einer Oratorienversion dieser Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze (Hob. XX:2) wurde Joseph Haydn durch eine arrangierte Fassung des Passauer Domkapellmeisters Joseph Friberths (1724-1799) angeregt.
Haydn fertigte unter der teilweisen Benutzung der Variante Friberths eine eigene Version für vier Solostimmen, Chor und Orchester an, für die wohl Gottfried van Swieten die Textfassung lieferte.
Eben dieser Gottfried van Swieten (1733-1803) organisiert dann im Jahre 1796, im Rahmen der ,,Gesellschaft der Associierten Cavaliere" in Wien die Uraufführung. Wie Jahre später auch bei den Oratorien Die Schöpfung und Die Jahreszeiten verschaffte diese Gesellschaft der Uraufführung einen professionellen Rahmen.
Die Gesellschaft der Associierten Cavaliere bestand aus 24 Mitgliedern des Wiener Adels und bildete so etwas wie das aristokratische Gegenstück zur bürgerlichen Tonkünstler-Societät in Wien, die 1775 mit der Uraufführung des Oratoriums Il ritorno di Tobia von Joseph Haydn punkten konnte. Im Gegensatz zur Tonkünstler-Societät war die Uraufführung der letzten Worte exklusiv den „Cavaliere“ vorbehalten, wie Jahre später bei der Schöpfung und den Jahreszeiten auch.
Veröffentlicht wurde diese Fassung 1801 durch Breitkopf & Härtel (Leipzig).
Beide Versionen der Komposition Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze, sowohl die instrumentale Passionsmusik, als auch das Oratorium, haben eine ebenso unübliche Entstehungsgeschichte wie sie als außergewöhnliche Werke in die Musikgeschichte eingegangen sind und bis heute eine Sonderstatus unter den Oratorien insgesamt einnehmen. Für Cadiz sollte Haydn eine Passionsmusik schreiben, die für deren aufwendige Karfreitagszeremonien konzipiert war. Wie aufwendig dabei Haydns Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze im Wahrsten Sinne des Wortes in Szene gesetzt wurden, beschrieb sein Biographen Georg August von Griesinger: „Man überzog an dem bestimmten Tage die Wände, Fenster und Pfeiler der Kirche mit schwarzem Tuche, und nur eine in der Mitte hängende Lampe von großem Umfange erleuchtete das heilige Dunkel. Zu einer bestimmten Stunde wurden alle Thüren verschlossen, und die Musik begann. Nach einem zweckmäßigen Vorspiele bestieg der Bischof die Kanzel, sprach eines der sieben Worte aus, und stellte eine Betrachtung darüber an. Sobald sie geendiget war, stieg er von der Kanzel herab, und fiel knieend vor dem Altar nieder. Die Musik füllte diese Pause aus. Der Bischof betrat zum zweyten-, drittenmale u. s. w. die Kanzel, und jedesmal fiel das Orchester nach dem Schlusse der Rede wieder ein. Es war gewiß eine der schwersten Aufgaben, ohne untergelegten Text, aus freyer Phantasie, sieben Adagios auf einander folgen zu lassen, die den Zuhörer nicht ermüden, und in ihm alle Empfindungen wecken sollten, welche im Sinne eines jeden von dem sterbenden Erlöser ausgesprochenen Wortes lagen. Haydn erklärte so auch öfters diese Arbeit für eine seiner gelungensten.“ (Georg August Griesinger: Biographische Notizen über Joseph Haydn. Breitkopf & Härtel, Leipzig 1810, S. 32f.)
Um die Wirkung dieser Musik, in dieser besonderen Rauminstallation bzw. insgesamt im Rahmen solcher aufwendigen Passionsandachten begreifen zu können, ist es notwendig, selbige nicht als absolute Musik, sondern als „Musica instrumentale sopra le 7 ultime parole …“, als „Instrumentalmusik über die Sieben letzten Worte“ zu begreifen. Haydn leitete die musikalische Idee zu jeder Sonate aus dem jeweiligen lateinischen Text ab. Haydn bestand auf die textbasierte Realisierung seiner Komposition wie es ein Brief vom 14.02. 1787 an den Verleger Artaria über sein Quartettversion zum Ausdruck bringt: „der Inhalt deren Sonaten' in Notten ausgedruckt (welchen ich zugleich mit einschücke) 3 muß auch in denen quartetten beygedruckt werden.“ Und wie wichtig Haydn die Berücksichtigung des Textes bei der Interpretation selbst war beschreibt dieser Brief vom 08.04. 1787 an den Londoner Verleger William Forster: „Jedwede Sonate, oder Jedweder Text ist bloß durch die Instrumental Music dergestalten ausgedruckt, daß es den unerfahrensten den tiefesten Eindruck in Seiner Seel Erwecket, das ganze werk dauert etwas über eine stunde, es wird aber nach jeder Sonate etwas abgesezt, damit man voraus den darauf folgenden Text überlegen köne;“
Wie erwähnt sollte für die Oratoriumfassung Joseph Friberths Vokalversion von Haydns orchestraler Passionsmusik Die Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuzeden Ausschlag geben. Joseph Friberth war erzbischöflicher Domkapellmeister zu Passau und Bruder des für Joseph Haydns vokale Tondichtungen so wichtigen Tenors Carl Friberth, seines Zeichens ebenso Librettist bzw. Bearbeiter diverser Librettos.
Nach der Uraufführung der originalen Orchesterfassung 1786 verbreiteten sich Die (instrumentalen) Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze in ganz Europa in verschiedenen Fassungen rasend schnell. Auch Friberth fertigte auf dem Orchesterwerk basierend eine Vokalfassung an. Dieser wurde Haydn gewahr, als er 1794 auf der Reise nach England in Passau Halt machte.
Haydn über die Passauer Aufführung selbst: „Die Singstimmen, glaube ich, hätte ich besser gemacht" (zitiert nach: Carl Ferdinand Pohl, Joseph Haydn, Bd. II, Leipzig 1882, S. 217).
Dass Haydn nach seiner Rückkehr aus England 1795 eine Vokalversion in Angriff nehmen sollte, verdanken wir wohl seiner Bekanntschaft mit Baron Gottfried van Swieten. Zunächst fügte Joseph Haydn in eine von seinem Kopisten nach der Orchesterfassung vorbereiteten Arbeitspartitur zusätzliche Bläserstimmen hinzu - Klarinetten, Kontrafagott und Posaunen - arbeitete auch manches in den anderen Instrumentalstimmen um und webte einen vierstimmigen Vokalsatz ein. Den Text übernahm Haydn von der vokalen Fassung Joseph Friberths, von der ihm eine Abschrift vorlag. Diesen überarbeitete Haydn mit van Swieten, wie aus zahlreichen Einträgen von beiden in der Arbeitspartitur erkennbar ist. In den Nummern 1 bis 4 bedurfte es in Musik und Text von Haydn und van Swieten nur kleinerer Eingriffe. In die Nummern 5,6 und 7 griff jedoch Haydn und van Swieten so markant ein, dass manche Passagen neu notiert und auf die originalen Blätter angeheftet werden mussten. Für die Textrevision griffen sie, wie schon die Vorlage, auf Karl Wilhelm Rammlers weit verbreitete Versdichtung Der Tod Jesu (1754) zurück. Sechs der sieben Nummern stellte Haydn einen kurzen A-cappella-Satz voran, in dem die wörtliche Übersetzung des lateinischen Bibelwortes intoniert wird. Nummer 5 wird von einem reinen Bläsersatz eingeleitet. Diese zweite lntroduzione verleiht ihm auch die für ein Oratorium erforderliche Zweiteiligkeit.
1786 Orchesterfassung
1795 Oratorium
06. April 1787 Passionsmusik für Orchester
26. März 1796 Oratorium
06. April 1787 Cadiz, in der Kapelle Santa Cueva unterhalb der Pfarrkirche Nuestra Señora del Rosario
26. März 1796 Wien
DIE SIEBEN LETZTEN WORTE UNSERES ERLÖSERS AM KREUZE; Reihe IV; Herausgeber: Hubert Unverricht; 2008, G. Henle Verlag München
DIE SIEBEN LETZTEN WORTE UNSERES ERLÖSERS AM KREUZE, Bearbeitung für Streichquartett Hob. XX/1B Herausgeber: Christin Heitmann; 2008, G. Henle Verlag München
DIE SIEBEN LETZTEN WORTE UNSERES ERLÖSERS AM KREUZE Hob. XX/2, Vokalfassung Herausgeber: Hubert Unverricht, Reihe XXVIII, Band 2; 2009, G. Henle Verlag München
Vollständig
Personen

Orchesterfassung von 1786: 2|2|0|2 – 4|2|0 – 1 – Str.
Oratorium von 1796: S, A, T, B, Chor – 2|2|2|2|1Kfa – 2|2|2 – 1 – Str.
Textbuch

Textbuch
Die letzten Worte des Gekreuzigten, zusammengestellt aus den Evangelien (Lukas 23,34 und 43; Johannes 19,26; Markus 15,34; Johannes 19,28 und 30; Lukas 23,46). Der Text für das Oratorium stammt von Joseph Friberth mit Anklängen an Karl Wilhelm Rammlers Der Tod Jesu.
Revidiert von Baron Gottfried van Swieten
Werkteile

Werkteile
lntroduzione | |
No. 1 | Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun. Lukas 23:34 |
No. 2 | Fürwahr, ich sag es dir: Heute wirst du bei mir im Paradiese sein. Lukas 23:43 |
No. 3 | Frau, hier siehe deinen Sohn, und du, siehe deine Mutter! Johannes 19:26-27 |
No. 4 | Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Psalm 22:1 und Matthäus 27:46 |
lntroduzione | |
No. 5 | Jesus rufet: Ach, mich dürstet! Johannes 19:28 |
No. 6 | Es ist vollbracht. Johannes 19:30 |
No. 7 | Vater, in deine Hände empfehle ich meinen Geist. Lukas 23:46 |
II Terremoto | Er ist nicht mehr |
Medien

Medien
INTERPRETEN:
Kurpfälzisches Kammerorchester unter der Leitung von Nicol Matt.